Ein Beben der Stärke 5,3 erschüttert am frühen Morgen den Distrikt Khabat in der Region Kurdistan-Irak. Häuser stürzen ein, Menschen irren orientierungslos durch die Straßen und erste Berichte über Verschüttete machen die Runde. Was klingt wie eine Katastrophe, ist in Wirklichkeit eine minutiös vorbereitete Katastrophenschutzübung unter Federführung des Technischen Hilfswerks (THW). Die Übung ist Teil eines langfristigen Projekts zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes in der Region Kurdistan-Irak – und ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie internationale Zusammenarbeit Krisenprävention konkret machen kann.
„Wir müssen realitätsnah üben, um im Ernstfall schnell und effizient reagieren zu können“, sagt der THW-Teamleader vor Ort. Geplant und organisiert wird die Übung vom THW. Als Teilnehmende eingebunden sind das Joint Crisis Coordination Centre (JCC) in Erbil sowie ehrenamtliche Kräfte der Rapid Response Units (RRU) und logistische Unterstützungsteams. Im Fokus steht nicht nur die Rettung von Menschenleben, sondern auch die koordinierte Zusammenarbeit zwischen Einsatz- und Logistikkomponenten.
Realistische Szenarien, echte Belastung
Das Szenario beginnt um 08:00 Uhr Ortszeit. Ein simuliertes Erdbeben erschüttert den Distrikt Khabat. Kurze Zeit später folgt der Notruf aus Erbil: Mehrere Gebäude seien eingestürzt, zahlreiche Menschen vermutlich verschüttet. Die ersten Einheiten der Rapid Response Units (RRU), die aus ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern bestehen, rücken aus. Ihre Aufgabe: Menschenrettung aus den eingestürzten Gebäuden, Transport verletzter Personen und Aufbau einer Notunterkunft am Stadtrand von Erbil.
Mit schwerem Gerät dringen die Teams in Trümmerbereiche vor, sichern Strukturen und bergen realistisch hergerichtete Übungspuppen sowie Verletztendarstellende, die das Szenario noch authentischer wirken lassen. Die körperliche Belastung ist hoch – 40 Grad im Schatten, Staub und Lärm erschweren die Arbeit zusätzlich. Hinzu kommt ein kontrolliertes „Nachbeben“, das das Einsatzgeschehen noch einmal drastisch verändert: Ein stark beschädigtes Wohnhaus droht vollständig einzustürzen. Die Trupps müssen sich kurzfristig zurückziehen und neue Prioritäten setzen.
Logistik unter Extrembedingungen
Parallel zum Rettungseinsatz ist das Logistikteam im Einsatz. Es hat seinen Standort eine Autostunde vom Übungsgeschehen entfernt und muss unter Zeitdruck Zelte, Wasser, Decken und medizinisches Material bereitstellen. Eine bewusst eingebaute Übungsstörung – ein verspäteter Transport – fordert schnelle Improvisation. „So etwas kann im Ernstfall jederzeit passieren“, sagt ein THW-Trainer, „und genau dafür müssen wir vorbereitet sein.“
Die Logistik-Fachleute dokumentieren akribisch alle Materialbewegungen und justieren die Versorgungslinie nach. Gleichzeitig wird der Aufbau einer Notunterkunft in Erbil vorangetrieben: Sanitäreinrichtungen, Registrierungsschalter, schattenspendende Zelte – innerhalb weniger Stunden soll eine funktionale Notinfrastruktur für über 1.000 Personen entstehen.
Ein Projekt mit Weitblick
Die Übung ist Teil eines vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts, das bereits seit 2016 läuft. Ziel ist es, nicht nur auf akute Krisen zu reagieren, sondern langfristige Strukturen im Katastrophenschutz der Region Kurdistan-Irak aufzubauen. Kern des Programms sind acht RRU in den Metropolregionen Erbil, Dohuk, Sulaymaniyah und Halabja. Die Einheiten bestehen aus Freiwilligen, die vom THW und dem JCC ausgebildet wurden und mit durch das THW bereitgestellter Technik ausgerüstet sind. Auch die Ausbildung ziviler Ersthelferinnen und Ersthelfer – sogenannte Community Responder Trainings (CRT) – ist ein fester Bestandteil der Initiative.
„Besonders stolz sind wir auf die Resilienzkampagnen“, betont eine THW-Mitarbeiterin. „Wir schulen junge Menschen in Flüchtlingslagern, Schulen und Universitäten im Brandschutz, in Erster Hilfe – und vor allem in Eigenverantwortung.“ Die Hoffnung: aus den Teilnehmenden zukünftige Helferinnen und Helfer zu machen, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in ihren Gemeinden wirken.
Regionale Vernetzung und Zukunftsperspektiven
Ein weiterer Baustein ist der Aufbau von zwei sogenannten Search and Rescue-Einheiten (SAR), für die das THW nicht nur Material beschafft, sondern auch Trainings zur technischen Rettung anbietet. Auf einem eigens angelegten Übungsgelände mit Trümmerstrecke und Höhenrettungsanlage werden diese Einheiten auf den Einsatz vorbereitet. Ergänzt wird das Engagement durch die Entwicklung eines Logistiknetzwerks und durch den Akteursdialog mit Katastrophenschutzstellen aus Irak, Jordanien und Tunesien – ein regionales Austauschformat zur Förderung der Resilienz im gesamten MENA-Raum.
Bilanz: professionell, partnerschaftlich, präventiv
Die groß angelegte Übung in Khabat zeigt: Katastrophenschutz braucht nicht nur Technik, sondern Vertrauen, Ausbildung – und Zeit. Das THW hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem JCC Strukturen geschaffen, die über den Tag hinauswirken. Die Stärke liegt im Aufbau lokaler Kapazitäten, im Engagement freiwilliger Kräfte und in der Vernetzung über Grenzen hinweg.
Am Ende des Übungstages ziehen die Verantwortlichen ein positives Fazit. „Es war fordernd, aber auch ermutigend“, sagt ein lokaler Einsatzleiter. „Unsere Teams haben gezeigt, dass sie im Notfall bereit sind. Und das ist letztlich das Wichtigste.“